Wie sichtbar darf ich sein? Queer sein in der Berufsbildung

Was bedeutet es, als queere oder trans Person in der Lehre zu stehen? Ein persönlicher Erfahrungsbericht zeigt, warum Sichtbarkeit, Zugehörigkeit und Verständnis im Berufsalltag entscheidend sind.

In den letzten Jahren ist das Thema Diversity sichtbarer geworden – doch Sichtbarkeit allein reicht nicht. Queere Lernende berichten weiterhin von Ausgrenzung, Unverständnis oder gar offener Ablehnung. Gleichzeitig liegt in der Berufsbildung ein grosses Potenzial, junge Menschen zu stärken, ihnen Sicherheit zu geben und ihre Entwicklung positiv zu beeinflussen. Deshalb lohnt sich ein genauer Blick: Wie betrifft das Thema queere Identität eigentlich Auszubildende und Berufsbildende?

Die Fakten sprechen eine deutliche Sprache:

  • 90 % der befragten queeren Jugendlichen erleben homo- oder transfeindliche Kommentare von Mitschüler:innen (Uni Bern & PH Zürich).
  • 68 % der LGBTQIA+-Personen in der Schweiz berichten von Diskriminierung und Gewalt (HSLU).
  • Queere Jugendliche sind dreimal so häufig von Depressionen, Angststörungen und Burnout betroffen – und haben ein viermal höheres Suizidrisiko.

Dabei ist der Einfluss von Berufsbildner:innen und Lehrpersonen entscheidend. Eine akzeptierende, sichere Lernumgebung kann das psychische Wohlbefinden massiv verbessern.

Wichtige Begriffe kurz erklärt. LGTBQIA+

Was es heisst, queer zu sein – persönlich erzählt

Hinweis: Der folgende Abschnitt wurde von einem queeren Lernenden verfasst. Zur Wahrung der Privatsphäre nennen wir keine weiteren Details.

Ich selbst hatte einige unangenehme Begegnungen in der Schule, bei denen ich mit Diskriminierung konfrontiert wurde. Viele meiner Kamerad:innen fanden es lustig, Beleidigungen gegen schwule, lesbische oder trans Menschen frei und häufig zu verwenden. Witze über meine Identität galten als harmlos – wenn ich zeigte, dass sie mich verletzten, wurde es teils noch lustiger gefunden. Das Wort „schwul“ war in meiner Altersgruppe ein beliebtes Schimpfwort – als wäre es etwas Schreckliches, queer zu sein. Gleichzeitig beteuerten viele, „nichts gegen queere Menschen“ zu haben. Diese widersprüchliche Haltung begegnet mir immer wieder: Die Worte sind tolerant, das Verhalten oft nicht.

Heute bin ich in einem unterstützenden Umfeld mit Kamerad:innen, die mit Verständnis auf mich zugehen. Ich weiss, wie wertvoll das ist – weil ich auch das Gegenteil erlebt habe. Zugehörigkeit bedeutet für mich, mich nicht verstecken zu müssen. Ich darf ich sein. Genau darum geht es auch im Pride Month.

Ich erinnere mich noch an meine erste Pride Parade. Ich war sehr nervös, als ich mit meinem Kolleg ankam. Doch mittendrin änderte sich alles: Menschen lachten, sangen, verteilten kleine Zeichen der Solidarität. Besonders bewegt hat mich das Schild einer Frau: „Free Mom Hugs“. Mein Kollege – ein cishet Mann – war einfach dabei. Er wusste, dass ich nicht allein gehen würde. Er war ein Ally – durch sein Handeln, nicht durch Worte.

Solche Unterstützung macht einen Unterschied. Ich kann aus Erfahrung sagen: Sie wirkt sich direkt auf die psychische Gesundheit queerer Jugendlicher aus. Wenn du also einen sicheren Raum bieten kannst – bitte tu es. Queere Jugendliche brauchen Menschen, die da sind, die zuhören und zeigen: Du bist nicht allein.

Wie sieht Unterstützung im Berufsalltag aus?

Ich bin dankbar: Mein jetziger Betrieb steht hinter mir. Aber das war nicht immer so. Als ich mich um Lehrstellen bewarb, habe ich meine Identität bewusst versteckt. Einfach, um überhaupt eine Chance zu haben. Das war für mich selbstverständlich – und genau das ist erschreckend.

Ein Unternehmen, das sich klar zu Diversity bekennt, kann viel verändern. Es gibt queeren Menschen das Gefühl: Du musst dich nicht verstecken. Du darfst sein, wie du bist.

Was können Berufsbildende tun?

Berufsbildner*innen haben eine besondere Rolle. Sie können viel bewirken – nicht nur beruflich, sondern auch menschlich.

Sie können:

  • ein offenes Ohr haben,
  • Vorbilder sein,
  • queeren Lernenden das Gefühl geben: Du bist nicht allein.

Gerade queere Jugendliche mit wenig Unterstützung im familiären Umfeld profitieren davon enorm. Ein sicherer Start ins Berufsleben ist entscheidend.

Denn: Queere Menschen sind fast dreimal so häufig arbeitslos oder obdachlos. Besonders trans Menschen haben es auf dem Arbeitsmarkt schwer. Bei jeder dritten Kündigung wird die Geschlechtsidentität als Grund genannt. Weitere Informationen zu dem Thema findest du hier

Warum ist das alles so wichtig?

Weil ein einzelner Satz, eine Geste, ein unterstützendes Verhalten für queere Jugendliche den Unterschied machen kann – zwischen Hoffnung und Verzweiflung, zwischen Angst und Selbstvertrauen.

Wenn du helfen kannst – tu es. Wenn du Raum geben kannst – tu es. Wenn du einfach zuhören kannst – tu es.

Manchmal reicht genau das, um ein Leben zu verändern. Es gibt einige Organisationen die gratis Beratung bei Fragen, Besorgnis oder Problemen anbieten. Zum Beispiel: PinkCross, HAZ

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